Reiserichtlinie: Wie gestalte ich eine nachhaltige Reiseregelung?

Aus ErWiN
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Vor allem im Dienstleistungsbereich und im Management nimmt die Personenmobilität einen entscheidenden Anteil am unternehmerischen CO2-Fußabdruck ein. Um geschäftliche Termine wahrzunehmen, fährt man nicht selten nur an den Arbeitsplatz, sondern auch quer durch Deutschland, Europa oder sogar die Welt. Reisen aus Nachhaltigkeitsgründen komplett zu unterbinden, könnte so manchem Firmen-Kontakt allerdings auch schaden. Daher wird im folgenden Artikel dargestellt, was man tun kann, um Geschäftsreisen von Einzelpersonen und Gruppen CO2-ärmer zu gestalten und anhand einer Reiseregelung verbindlich zu implementieren. In unserem Artikel Reiserichtlinie: Anbieter & Anlaufpunkte findest du interessante Initiativen, die dich bei der unten vorgeschlagenen Umsetzung unterstützen können.

Geschäftsreisen - wann sind sie wirklich notwendig?

Das Verkehrsaufkommen aufgrund dienstlicher Angelegenheiten wächst. 2008 betrug dieses noch sechs Prozent der Personenmobilität, 2017 schon elf Prozent, ein Plus von fünf Prozentpunkten.[1] Auch die absolute Anzahl an Geschäftsreisen deutscher Unternehmen nimmt seit Jahren stetig zu und lag 2019 bei 195,4 Mio. (zum Vergleich: 2009 lag die Anzahl noch bei 145,1 Mio., ein Plus von fast 35 Prozent).[2]

Daher kommt zuerst die Idee auf: Wenn gar nicht erst gereist wird, muss eine Reise auch nicht nachhaltiger werden. Reduktion ist ja auch besser als Kompensation. Ganz am Anfang sollte daher immer die Frage stehen: Braucht es überhaupt eine Reise? Ist diese unvermeidbar? Dank der Digitalisierung ermöglichen zahlreiche Tools die entfernte Zusammenarbeit, Absprachen "in Person" können mittlerweile dank Skype, Zoom, Microsoft Teams und Co. auch von Angesicht zu Angesicht durchgeführt werden, obwohl man sich nicht im selben Raum aufhält. Persönlicher Kontakt kann somit trotz Entfernung hergestellt werden.

Natürlich ist es aber dennoch häufig erforderlich, dass man Geschäftsbeziehungen persönlich durch Anwesenheit pflegt. Man kann jedoch die Frequenz von Reisen hinterfragen, bei denen sich alle Beteiligten an einem Ort treffen. Ein*e Kund*in erwartet quartalsweise Absprachen und bisher bedeutete dies eine Geschäftsreise alle drei Monate? Diese Praxis könnte abgeändert werden. Mit Kund*innen könnte auch ein halbjährliches oder nur jährliches Treffen vereinbart werden, um die positiven Effekte der persönlichen Begegnung beizubehalten. Alle weiteren Absprachen finden digital statt. Aufgrund der eingesparten Reisezeit könnte die Absprachenfrequenz sogar erhöht werden!

Doch wenn partout kein Weg an einer Geschäftsreise vorbeiführt, kann man Wege zusammenlegen, um die zurückgelegten Strecken zu minimieren. Zwei oder drei Kund*innen befinden sich in derselben Stadt? Warum dann also nicht alle während einer mehrtätigen Reise besuchen? Gleiches gilt für Orte, die weiter voneinander entfernt liegen. Reist man bspw. "im Dreieck", reduziert sich auch hier die zurückgelegte Strecke. Als Beispiel: Ein in Leipzig ansässiges Unternehmen will Kunde A in München und Kundin B in Frankfurt besuchen. Anstatt individuell nach München und Frankfurt zu reisen, wird zunächst München, dann Frankfurt und erst dann wieder Leipzig angesteuert.

Der Blick auf die Verkehrsmittel aus der CO2-Perspektive

Wie bereits beschrieben: Es ist verständlich, dass Reisen notwendig sind. Falls also unvermeidbar, gibt es immer noch die Möglichkeit, die umweltfreundlichste Art des Reisens zu wählen. Im Anschluss werden daher die Verkehrsmittel und ihr jeweiliger CO2-Ausstoß vorgestellt.

Verkehrsmittel im Vergleich[3]
Verkehrsmittel Treibhausgas-Ausstoß1 Einordnung
Zug (Fernverkehr) 29 Der Ausstoß ist zurückzuführen auf den aktuellen Strommix. Je regenerativer dieser wird, desto geringer sind die Treibhausgas-Emissionen.
Flugzeug (Kurzstrecke) 214 Aufgrund der kurzen Zeit auf Reisehöhe sind Kurzstrecken besonders schädlich. Je weiter die Reise, desto geringer fällt der Ausstoß pro Kilometer aus.
PKW 143 Der pro Kopf Ausstoß sinkt beim PKW jedoch drastisch, je voller ein PKW besetzt ist.[4]
ÖPNV 55-80 Der Mix aus Schienen- und Busverkehr sowie die unterschiedlichen Antriebsmittel bestimmen hier den Ausstoß.
Reisebus 29 Je voller der Bus, desto günstiger die Bilanz (ähnlich wie beim PKW).

1 In CO2-Äquivalenten. Gramm pro Personenkilometer.

Die Gegenüberstellung zeigt: Das Flugzeug sowie ein einfach besetzter PKW sind die klaren Verlierer. Zug, voll besetzter PKW und Reisebus nehmen sich aktuell im Fernverkehr relativ wenig - noch. Beim Zug eröffnet sich allerdings die Perspektive, dass mit dem sich wandelnden Strommix und damit dem Anstieg der erneuerbaren Energien die CO2-Bilanz stetig besser wird.

Ein kurzer Hinweis: Natürlich könnte man die obigen Verkehrsmittel noch umfassender in ihrem ökologischen Fußabdruck bewerten (Ausstoß während Produktion und Lebenszyklus, benötigte Infrastruktur etc.). Dies würde den Artikel jedoch unnötig verkomplizieren, wenn die Antwort eigentlich simpel ist: Zug vor PKW vor Flug.

Wirtschaftliche Argumente für nachhaltigere Verkehrsmittel

In den meisten Unternehmen wird es schwer, nur über den CO2-Ausstoß eine Reiseregelung zugunsten des Zugs aufzustellen. Daher listen wir hier zusätzliche Argumente auf, die ebenfalls für eine "Zug-vor-PKW-vor-Flug-Reiseregelung" sprechen:

  • Deutschland belegt weltweit Platz drei bei den Ausgaben für Geschäftsreisen. [5] Geschäftsreisen sind bedeutende Kostenpunkte für viele Unternehmen. Wenn man hier Kosten reduzieren kann und gleichzeitig den CO2-Ausstoß verringert, ergibt sich eine Win-Win-Situation. Je früher man Tickets bucht, je genauer man also einen Trip plant, desto günstiger. Bahntickets können zusätzlich mit BahnCard-Rabatten gebucht werden. Selbst kurzfristige Reisen und besonders das Buchen des Flexpreises werden so preislich attraktiver. Hier beispielhaft eine Gegenüberstellung der Kosten einer Reise von Berlin nach München[6]:
Reisemittel Reisekosten eine Person Kosten zusätzliche Personen Anmerkung
Auto 202€ keine Veränderung zzgl. Parkkosten, Materialverschleiß etc.
Bahn ohne Rabatt, kurzfristige Buchung 153€ gleicher Preis für jede zusätzliche Person Ankunft mitten im Zentrum
Bahn mit BahnCard 50 Rabatt, kurzfristige Buchung 102€ gleicher Preis für jede zusätzliche Person Ankunft mitten im Zentrum
Fernbus, kurzfristige Buchung 20€ gleicher Preis für jede zusätzliche Person Ankunft mitten im Zentrum
Flugzeug, kurzfristige Buchung 95€ gleicher Preis für jede zusätzliche Person zzgl. Anreisekosten ins Zentrum
Bahn mit Sparpreis, langfristige Buchung 20€ gleicher Preis für jede zusätzliche Person Ankunft mitten im Zentrum
Fernbus, langfristige Buchung 10€ gleicher Preis für jede zusätzliche Person Ankunft mitten im Zentrum
Flugzeug, langfristige Buchung 48€ gleicher Preis für jede zusätzliche Person zzgl. Anreisekosten ins Zentrum
  • Mit der Bahn wird man meist ins Zentrum von Städten befördert - ohne Stress wegen Parkplatzsuche oder teure Anreise mit Taxi bzw. langwierige ÖPNV-Anfahrt von außerhalb gelegenen Flughäfen. Vom Bahnhof aus lassen sich die meisten Besprechungsorte, Messen und Hotels problemlos erreichen.
  • Nur zwölf Prozent der Dienstreisen in Deutschland gingen 2017 ins Ausland.[7] Nur 40 Prozent von Geschäftsreisen sind mehrtägig.[8] Die meisten Geschäftsreisen sind also kürzere Strecken, vor allem innerhalb Deutschlands. Das Bahnnetz ist hier besonders gut ausgebaut. Im Zug lässt es sich am Laptop auch relativ bequem arbeiten, die Reisezeit also als weitere Arbeitszeit nutzen, sie ist keine verlorene Zeit. Anders verhält es sich jedoch im PKW, und auch im Flugzeug kann die Reisezeit nicht so gut als Arbeitszeit genutzt werden wie in der Bahn.
  • Als Argumente gegen die Bahn werden häufige Verspätungen und deren "Unzuverlässigkeit" angeführt. Demgegenüber steht man mit dem PKW häufig im Stau. Auch Problemen am Flughafen, wenn Flüge ganz ausfallen oder später starten, ist der Reisende hilflos ausgeliefert. Mit der Bahn gibt es jedoch viele Alternativrouten und beim Buchen des Flexpreises ist man ohnehin auf den gebuchten Strecken flexibel.
  • Nur 19 Prozent der Mitarbeitenden bevorzugen das Flugzeug für Geschäftsreisen.[9] Werden Mitarbeitende also von ihrer Firma zu Flugreisen gezwungen, könnte eine Aversion gegen Geschäftsreisen und Stress entstehen.
  • Außerdem sollte der Trend ohnehin zu einer geringeren Reisetätigkeit führen: Die Corona-Pandemie gewöhnt die Menschen an digitale Formate. Auch für diejenigen, die man treffen möchte, bietet dies Vorteile. Generell sparen Remote-Meetings zahlreiche Kosten: Keine Anreise, keine Übernachtung, keine Verpflegung, keine Einladung der Geschäftspartner*innen ins Restaurant zum Mittag oder nach Feierabend.

Kurz zusammengefasst: Die Bahn ist nicht das günstigste Verkehrsmittel (vor allem bei mehreren Reisenden). Sie kann jedoch bei cleverer und frühzeitiger Buchung deutlich günstiger als das Flugzeug sein. Hinzu kommt die Möglichkeit des entspannten Reisens und der dadurch sinnvollen Nutzung als Arbeitszeit in diesem Verkehrsmittel. Kann ein PKW voll besetzt werden, ist auch dieses Reisemittel aktuell noch zu empfehlen - im Hinblick auf Kosten und CO2, nicht jedoch im Hinblick auf Komfort und Arbeitszeitnutzung.

Übernachtungen

Auch bei Übernachtungen während der Geschäftsreise sollte die Nachhaltigkeit eine Rolle spielen. Hier gibt es einige Möglichkeiten, worauf man achten kann:

  1. Hotels auf ihr Leitbild und ihre kommunizierten Werte prüfen.
  2. Nach aussagekräftigen Umwelt-Siegeln Ausschau halten, z.B.:
  1. Die Mitgliederlisten von Hotelkooperationen, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen, durchsuchen, z.B.:

Wie so häufig gilt: Eine anfänglich intensivere Recherche zahlt sich aus. Da Geschäftsreisen außerdem häufig in dieselben Orte führen, sollten sich Unternehmen eine Liste mit nachhaltigen Hotels anlegen, sodass die Auswahl der Unterkunft für Kolleg*innen leichter fällt und nicht jede*r für sich recherchieren muss.

Festschreiben der Grundsätze in einer Reiseregelung

Um Verbindlichkeit unter Mitarbeitenden zu schaffen und Verständnis für die aufgestellten Regeln zu wecken, bedarf es einer allgemein zugänglichen Reiserichtlinie. Diese sollte übersichtlich zusammenfassen, worauf beim Reisen Wert gelegt werden sollte und welche Buchungen erstattet werden können.

Zu einem häufigen Problem gehört jedoch das Befolgen dieser Richtlinien. Etwa 50 Prozent der Geschäftsreisenden geben an, dass sie nicht immer die Richtlinien befolgen - meistens aufgrund der Flexibilität, die sie sich wahren wollen.[10] Dadurch wird meist kurzfristig gebucht, was zusätzliche Kosten verursacht. Richtlinien sollten so formuliert sein, dass sie Fexibilität erlauben. Außerdem sollten die Mitarbeitenden um ein ehrliches Feedback bei Buchungen gebeten werden - wo drückt der Schuh? Wie können Prozesse so vereinfacht werden, dass die Richtlinie befolgt werden kann?

Was sollte aus der Nachhaltigkeitsperspektive in Reiserichtlinien aufgenommen werden?

  • Begründet, welches Verkehrsmittel wann gewählt werden sollte. Beispiel: Innerdeutsche Reisen Zug vor PKW, niemals Flug. PKW bei Vollbesetzung legitime Alternative.
  • Legt eine BahnCard Politik fest. Ab wann erhält man eine BahnCard Business? Häufig lohnt sich eine Anschaffung bei kurzfristigen Buchungen schon ab der ersten Fahrt. Da man diese Rabatte auch für private Reisen einsetzen darf (Rücksprache mit Steuerbüro notwendig), wird dadurch auch das private Bahnreisen attraktiver. Und falls bereits privat BahnCards angeschafft wurden (welche günstiger sind als die Business-Varianten, besonders die Varianten für junge Menschen unter 27 Jahren), könnten diese evtl. vom Unternehmen bezuschusst werden, falls sie für Geschäftsreisen eingesetzt werden (ebenfalls Rücksprache mit Steuerbüro notwendig).
  • Legt Kriterien für Hotelbuchungen fest.
  • Entscheidet euch, ob ihr Geschäftsreisen durch Kompensationszahlungen neutralisieren wollt. (Tipps dazu weiter unten)
  • Entscheidet: Können Reisen auch für private Zwecke verlängert werden? Dies bietet sich vor allem an, da die Reise ohnehin gemacht wurde, der CO2-Ausstoß stattgefunden hat - warum also den Mitarbeitenden nicht die Möglichkeit zum Stressabbau und Erlebnisse sammeln geben?
  • Legt außerdem fest, unter welchen Umständen gereist werden darf - und wann dies vermieden und durch digitale Lösungen ersetzt werden sollte.

CO2-neutrale Geschäftsreisen durch Kompensation?

Es gibt zahlreiche Dienstleister*innen, die versprechen, durch Kompensationszahlungen könnten Geschäftsreisen komplett klimaneutral gestaltet werden. Das ist jedoch nur bedingt richtig - klimaneutral wäre eine Reise zu Fuß oder mit dem Fahrrad, jede andere Reise erzeugt CO2 und ist damit an sich nicht klimaneutral. Indem man Kompensationszahlungen leistet, erkennt man jedoch an, dass die Umweltkosten, die man durch das Reisen verursacht, mit den reinen Ticketpreisen nicht abgegolten sind. Das damit geschaffene Bewusstsein für die Folgen des eigenen Verhaltens ist daher wünschenswert. Man schafft jedoch keine direkte Neutralisation der eigenen Reiseaktivitäten.

Einen ausführlichen Blick auf Kompensationszahlungen, ihren Sinn und Unsinn sowie einige Anbieter stellen wir in einem anderen Artikel vor: Was sollte ich bei der CO₂-Kompensation beachten?

Fazit

Das Erstellen einer Reiserichtlinie mit Einbezug von CO2 ist sinnvoll, um Bewusstsein für den ökologischen Fußabdruck im Arbeitsalltag zu schaffen. Um für Verständnis zu sorgen, sollte die Reiserichtlinie begründet und öffentlich kommuniziert werden. Außerdem sollten die Mitarbeitenden um ein Feedback zur Reiserichtlinie gebeten werden. Bei Widerstand gegen Zug-Reisen sollte den Gründen nachgegangen werden - ein offener, ehrlicher Austausch ermöglicht es dann vielleicht, miteinander die umweltfreundlichste Lösung zu finden.

Quellen